Bundesgerichtshof will Aufklärung im Daimler Abgasskandal
letztes Update: 28.11.2022
- Authors
- Name
- Björn-Michael Lange
- Erstellt
- Rechtsanwalt, Partner
- Erstellt
- Montag, 18.10.2021

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könnte Betroffenen im Dieselskandal einmal mehr in die Hände spielen
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 13. Juli 2021, VI ZR 128/20, eine abweisende Entscheidung vom Oberlandesgericht Koblenz im Daimler-Abgasskandal aufgehoben und an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen.Streitgegenständlich war ein Mercedes-Benz C 220 CDI BlueEfficiency T-Modell. Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor OM 651 ausgestattet und es entsprach der Abgasnorm Euro 5. Das Fahrzeug war nicht von einem verpflichtenden Rückruf vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) betroffen.Das Landgericht Koblenz hat die Klage abgewiesen. Auch das Oberlandesgericht Koblenz hat die Berufung zurückgewiesen. Dagegen hatte sich der Kläger im Rahmen der Revision gewehrt.Bleiben Sie auf dem Laufenden.
Mit unserem Newsletter!
Höchstes deutsches Gericht geht auf Kühlmittel-Sollwert-Temperatur-Regelung ein
Während viele Betroffene noch den Schock des BGH-Urteils vom 16. September 2021 (Az: VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) zum sog. Thermofenster verarbeiten, sind wir seit Langem der Auffassung, dass das Thermofenster nicht die maßgebliche unzulässige Abschalteinrichtung ist. Vielmehr ist die Kühlmittel-Sollwert-Temperatur-Regelung die entscheidende Manipulationssoftware. Hiermit lassen sich gerichtliche Verfahren gegen die Daimler AG gewinnen. Es ist auch diese Abschalteinrichtung, die für den Rückruf von knapp 200.000 Mercedes Lieferwagen der Modelle Sprinter, Viano und Vito verantwortlich ist. Das Urteil des BGH befasst sich auf S. 10 Rn. 19 - von der Öffentlichkeit wenig beachtet - mit der Kühlmittel-Sollwert-Temperatur-Regelung. Die Ausführungen sind auch für juristische Laien lesenswert und lauten:Die Revision beanstandet aber zu Recht, dass das Berufungsgericht dem unter Beweis gestellten und vom Berufungsgericht nicht bereits nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesenen Sachvortrag des Klägers nicht nachgegangen ist, die Abgasreinigung seines Fahrzeugs werde durch eine Software-Funktion gesteuert, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, und in diesem Fall eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung aktiviere, die den Ausstoß von Stickoxiden auf das zulässige Maß reduziere. Die Verwendung einer derartigen Prüfstandserkennungssoftware käme als Anknüpfungspunkt für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen grundsätzlich in Betracht. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag rechtsfehlerhaft als prozessual unbeachtlich und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich gewürdigt. Damit hat es die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen überspannt.
Wie die Revision aber zu Recht rügt, durfte das Berufungsgericht die Behauptung des Klägers, in seinem Fahrzeug sei eine Abschalteinrichtung in Gestalt einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung implementiert, nicht als prozessual unbeachtlich ansehen. Denn der Kläger hat hierzu in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 11. November 2019 (S. 6 f.), auf den die Revisionsbegründung (RB 32 oben) verweist, konkrete Ausführungen gemacht Er hat unter Bezugnahme auf im Internet abrufbare Presseberichte des Handelsblatts vom 14. April und 19. Mai 2019 sowie der FAZ vom 22. Juni und 11. Oktober 2019 vorgetragen, dass das KBA im Herbst 2018 ein formelles Anhörungsverfahren wegen des Verdachts einer weiteren Abschaltvorrichtung gegen die Beklagte eingeleitet habe, bei der eine Software-Funktion eine spezielle Temperaturregelung (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung) aktiviere, welche den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter halte und die Aufwärmung des Motoröls verzögere. Nur dadurch blieben die Stickoxidwerte auf dem Prüfstand unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte. Im realen Fahrbetrieb hingegen werde diese Funktion deaktiviert und der gesetzliche Grenzwert von 180 mg/km deutlich überstiegen. Diese Software-Funktion sei zunächst bei Emissionsmessungen an einem GLK 220 CDI mit OM 651-Dieselmotor festgestellt worden. Inzwischen sei bekannt geworden, dass diese Abschaltvorrichtung nicht nur in Fahrzeugen der C-, E- und S-Klasse mit OM 642-Motoren verbaut worden sei. Im Juni 2019 habe das KBA aufgrund der detektierten und unzulässigen. Im Juni 2019 habe das KBA aufgrund der detektierten und unzulässigen Abschaltvorrichtung (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung) einen amtlichen Rückruf für zunächst rund 60.000 Dieselautos des Modells GLK 220 CDI mit Euro-5-Norm und dem von der Beklagten produzierten OM 651-Motor erlassen. Es liege nahe, dass darüber hinaus viele weitere Modelle der Beklagten mit einem OM 651-Dieselmotor mit dieser unzulässigen Abschalteinrichtung versehen seien. Das KBA gehe von mehr als 700.000 betroffenen Fahrzeugen aus. Im Oktober 2019 habe die Beklagte zudem selbst mitgeteilt, dass das KBA einen weiteren Rückrufbescheid für eine sechsstellige Zahl an Mercedes-Benz-Fahrzeugen mit OM 651-Dieselmotor und Euro-5-Norm, darunter u.a. etwa 260.000 Transporter des Modells Sprinter, erlassen habe, da eine unzulässige Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung festgestellt worden sei. Im Rahmen der Anordnung zum GLK habe die Beklagte bereits zuzugeben, dass die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung in verschiedenen Modellen implementiert worden sei. Weiterer Vortrag war vom Kläger nicht zu verlangen. Der Beachtlichkeit des Sachvortrags des Klägers auf der Darlegungsebene steht entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht entgegen, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bestritten hat, dass die Funktion der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung nur auf dem Prüfstand aktiviert sei. Unerheblich ist ferner, dass sich der Kläger nicht zu technischen Einzelheiten der Beeinflussung des Emissionskontrollsystems verhalten hat. Vom Kläger als Außenstehenden und technischen Laien kann nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, wie die von ihm behaupteten Abschalteinrichtungen konkret funktionieren (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 10). Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (…).